In dieser neuen Podcast-Folge habe ich das große Glück, Buchautorin Andrea Heistinger mit mir zu haben. Da könnt ihr entdecken, warum Gemüse und Obst am Balkon anzubauen, auch ein Stück Lebensglück bedeutet und warum sich jeder nach einem kleinen Paradies sehnt.

Valérie: Guten Morgen, Frau Heistinger, vielen Dank für das Interview! Viele, die sich mit dem Balkongärtnern beschäftigen, kennen sie. Sie haben viele Bücher zu dem Thema geschrieben, insbesondere das „Handbuch Bio-Balkongarten“. Das ist für mich DAS Referenzwerk für das Thema.

Andrea Heistinger: Herzlichen Dank für die Einladung zu diesem Podcast. Vielen Dank auch für Ihre Wertschätzung für das „Handbuch Bio-Balkongarten“.

Mein Name ist Andra Heistinger. Ich habe Landwirtschaft und Gartenbau studiert, sowie ökologischer Landbau. Ich habe auch eine Spezialisierung in Agrarsoziologie. Ich habe über viele Jahre Bücher geschrieben, über 18 Jahre war ich als Autorin tätig. Seit letztem Jahr bin ich als Organisationsberaterin zum Thema „Biologische Landwirtschaft und regionale Wertschöpfung“ tätig. Die Form meiner Arbeit hat sich also geändert, aber der Inhalt ist gleichgeblieben.

Ich helfe zum Beispiel im Moment einer großen Wohnbaugenossenschaft in Wien dabei, Webinaren für ihre Bewohner/-innen zu machen. Wie legt man Nutzgärten auf kleinen Flächen an, und wie macht man das biologisch? Und zwar speziell auf dem Balkon, auf der Terrasse und in Kleingärten.

Ich freue mich sehr, diese Wohnbaugenossenschaft, begleiten zu können. Ich merke, dass es ein ganz ernsthaftes Anliegen ist, auch von der Geschäftsführung, dies auch als Service für die Bewohner zur Verfügung zu stellen. Da geht es um einige 10.000 Haushalte, die die Webinare kostenlos sehen können. Das ist mir ganz wichtig, zu schauen, wie man mit diesem Thema in die Breite kommen kann. Ich bin davon überzeugt, dass es ein Stück Selbstversorgung, Lebensqualität und vielleicht auch Lebensglück ist (warum Gärtnern glücklich macht könnt ihr im Übrigen in diesem Artikel nachlesen).

Gleichzeitig steigt aus meiner Erfahrung die Wertschätzung für die Menschen, die das tagtäglich hauptberuflich machen, für Bauer/-innen, für Biobauer/-innen, und auch für gärtnerische Berufe. Viele Menschen gründen dann zum Beispiel eine Food-Coop, eine Form von Genossenschaft oder übernehmen Anteile in eine Regionalwert-AG. Denn sie merken dadurch, wo sie selber an ihre Grenzen stoßen. Dass es eben gar nicht so einfach ist, mehr als 10-15% von dem was man gerne an Gemüse isst, selbst anzubauen.

Valérie: Man sieht, wenn selbst eine Wohnbaugesellschaft sich für das Thema interessiert, wie wichtig das für die Menschen ist. Das Spannende ist auch, dass Gärtnern viel mehr ist, als nur in der Erde zu buddeln. Offensichtlich gibt es da ganz viele Dimensionen, die damit verbunden sind. Das ist ein sehr spannendes Thema.

Sie sind Agrarwissenschaftlerin, wie sind Sie da zu dem Thema Balkongarten gekommen? Man wird immer ernster genommen, aber auch noch teilweise belächelt, wenn man sagt, dass man Obst und Gemüse auf seinem Balkon anbaut.

Andrea Heistinger: Das war ein Weg über das Schreiben. Ich habe meine Bücher in erster Linie mit und für den Verein Arche Noah geschrieben. Das war zuerst das „Handbuch Samengärtnerei“. Dann kam das „Handbuch Bio-Gemüse“, wo es in erster Linie um den Anbau im Mutterboden, im Feld geht. Da hatte ich das Thema Balkon und Anbau in Gefäßen schon ein bisschen mit reingenommen. Und zwar aus dem Grund, weil viele Mitglieder der Arche Noah und Menschen, die bei der Arche Noah Jungpflanzen gekauft haben, gezielt danach gefragt haben.

Dann habe ich bemerkt, dass es im Netzwerk der Arche Noah-Gärtner/-innen sehr viel Wissen schon gibt. Da waren einige Mitglieder die interessanterweise nicht nur in der Stadt, sondern auch am Land ausschließlich am Balkon oder auf ihren Terrassen gegärtnert haben. Ich habe bemerkt, dass da viel Wissen ist, das man eben zusammenfassen kann.

Als nächstes ist dann das „Handbuch Balkongarten“ entstanden, das vor 3 Wochen in die nächste Auflage gegangen ist. Es ist mittlerweile in der 8. Auflage, was mich natürlich als Autorin immer unglaublich freut. Es ist mir eine Ehre, wenn die Bücher so viel Verwendung finden.

Ich kann auch gern ein bisschen erzählen, welche Zugänge und Recherchen in das Buch eingeflossen sind, das Wissen von welchen Menschen da auch drinnen steckt.

Valérie: Sehr gerne. Man findet sehr viel über das Thema „Gärten“ und „Gemüseanbau“. Aber wenn man sich speziell mit Balkonen und Terrassen beschäftigt, dann ist es schon dünner gesät. Die Bedingungen sind einfach anders, man braucht andere Sachen, es ist generell schwieriger. Da ist es natürlich wunderbar, wenn man die Erfahrung von anderen schon hat und das gleich einfließen lassen kann.

Andrea Heistinger: Das „Handbuch Bio-Balkongarten ist deswegen auch so ein großer Fundus an verschiedenen Möglichkeiten, Gemüse und Kräuter in Gefäßen anzubauen, weil wir für dieses Buch sehr intensiv und auf verschiedenen Wegen recherchiert konnten. Das Wichtigste an einem Buch ist natürlich, dass es gut aufbereitet ist und gut lesbar ist. Das ist ein Teil.

Aber der andere Teil, die Hälfte des Prozesses, wie meine Bücher entstanden sind, war immer Recherche. Ich war für dieses Buch eine Woche in Amsterdam, eine Woche in London und eine Woche in Berlin. Ich habe mir dort das Thema „Urban Gardening“ intensiv anschauen können.

Das Zweite war, wie bereits angesprochen, dass es viele erfahrene Balkongärtner/-innen und Terrassengärtner/-innen im Netzwerk der Arche Noah gab, die ich auch kontaktiert habe. Das waren fast 30 bei diesem Buch. Ich bin direkt hingefahren, um mir die Situation im Sommer anzuschauen. Oder ich habe telefoniert und die Menschen haben Fotos geschickt.

Das dritte war der Schaugarten der Arche Noah, wo es auch ein großes Gärtnerteam gibt. Es wurden gezielt Anbauversuche angelegt, mit verschiedenen Substraten und verschiedenen Sorten.

Aus diesen drei Zugängen ist ein großer Fundus an Wissen entstanden.

  • Welche Gefäße eignen sich,
  • Welche Substrate eignen sich,
  • Welche Bewässerungsmethoden sind wichtig, und vor allem
  • Welche Kulturarten und welche Sorten eignen sich?

Es gibt Kulturarten wie zum Beispiel Zucchini, wo eine Sorte wie Striato d’Italia, eine große Fläche braucht. Sie ist nicht geeignet für den Balkon. Aber ein Rondini oder andere eher kleinwüchsige Sorten eignen sich auch für den Anbau auf dem Balkon.

Valérie: Was Anfängern vielleicht nicht immer bewusst ist! Es gibt da viele verschiedene Varietäten und Sorten. Dadurch, dass man die richtigen auswählt, ist man einfach erfolgreicher.

Andrea Heistinger: Genau!

Valérie: Ein Thema, dass Sie immer wieder begleitet, ist das Thema „Bio“ und „Sortenerhalt“. Das kommt in Ihren Büchern immer wieder vor. Wie wichtig ist das für Sie? Man kann ja am Balkon so oder so gärtnern… Sie legen aber besonders Wert darauf, das im Einklang mit der Natur zu tun.

Andrea Heistinger: Der Anbau von samenfesten Sorten, sprich von nicht hybriden Sorten, ist die Grundlage unserer Ernährungssouveränität. Das können wir gar nicht wichtig genug nehmen. Wenn wir kein Saatgut zur Verfügung haben, das wir auch zumindest theoretisch selbst weiter vermehren könnten, nehmen wir uns ganz viel weg von unseren eigenständigen Handlungsmöglichkeiten. Damit meine ich nicht nur individuelle Handlungsmöglichkeiten, sondern auch kollektive, in einer Gemeinschaft verorteten Handlungsmöglichkeiten.

Das bedeutet nicht, dass jeder Saatgut von jeder Sorte jedes Jahr gewinnen sollte, das würde ich nicht empfehlen. Auch Samenzüchtung und Samenbau braucht ein bestimmtes Know-How, auch das muss ich lernen, auch da muss ich reinwachsen.

Gerade am Balkon sind die Bestände viel zu klein, dass ich wirklich nur die schönsten Salatköpfe weitervermehren kann. Allerdings beim Basilikum schaut es schon wieder anders aus. Es ist sehr leicht möglich, am Balkon von verschiedenen Basilikumarten Saatgut selbst zu gewinnen. Oder auch von anderen Kräutern.

Da ist ein Unterschied, sobald die Menschen beginnen, sich damit zu beschäftigen. Wenn sie plötzlich Saatgut in der Hand haben, können sie Kräuter oder Früchte ernten von Saatgut, das sie selber im Vorjahr am Balkon geerntet haben. Für die meisten Menschen ist es eine unmittelbare Freude. Man merkt plötzlich, welche Fülle im Leben steckt.

Das ist eine unmittelbare Erfahrung, die uns oft fehlt, wenn wir so wie jetzt in der Corona-Zeit vor unseren zweidimensionalen Bildschirmen sitzen. Es ist alles andere als eine sinnliche Erfahrung. Genau in dieser Zeit brauchen wir eine andere Lebenswelt, wo wir im Freien sind, wo wir Pflanzen angreifen können. Wenn ich da drüber streiche, dann rieche ich das schon! Wenn ich eine Tomatenpflanze angreife, oder ein Basilikum, das ist eine Duftwolke. Oder frisch geschnittene Petersilie, das ist einfach etwas anderes wie im Plastik verpackt aus dem Supermarkt.

Ich möchte das überhaupt nicht schlecht reden, aber es macht mit uns etwas. Die Sinne werden anders angeregt, unsere Gehirne werden anders angeregt. Unser Bewusstsein hat ganz andere Möglichkeiten, die Welt zu erfassen, diese Fülle und diese Lebendigkeit der Welt zu spüren. Und das geht auf dem kleinsten Balkon. Ich habe auch 3 Jahre lang am Balkon gegärtnert, und das ist so unmittelbar, da entstehen Momente der Lebensfreude.

Zum Beispiel von Kleinkind auf haben mich Schmetterlinge besonders angezogen, ganz besonders der Schwalbenschwanz. Den habe ich als Kind öfters gezeichnet. Ich habe letztes Jahr am Balkon verschiedenste Kräuter angebaut, unter anderem Gewürzfenchel. Eines Tages Ende August sitzt plötzlich ein Schwalbenschwanz-Schmetterling auf meinem Balkon! Ich war so beglückt! Das ist nochmal ganz anderes als im Garten, weil man merkt (obwohl ich Gärten rund herum habe), dass es in der Stadt plötzlich möglich ist. Dass da Insekten sind, dass ich sie auch mit meinem Balkon ernähren kann. Diese Tiere, die vor allem durch den Anbau blühender Kräuter angezogen werden, das ist einfach so schön. Der Tag ist einfach anders, in ein anderes Licht getaucht.

Valérie: Da sieht man, wie man im Kleinen einen Beitrag leisten kann. Man entwickelt auch eine Beziehung zu seinen Balkonpflanzen. Wenn sie nicht gedeihen, ist man betrübt. Und wenn sie blühen, ist es eine große Freude. Das ist unglaublich, wie solche kleinen Sachen uns erfreuen können. Am Beispiel der Wohnbaugenossenschaft, das Sie Anfangs gebracht haben, sieht man auch, dass sich immer mehr Leute dafür interessieren.

Ich habe aber das Gefühl, dass die Zeit der reinen „Zierbalkone“ vorbei ist. Einfach nur Pelargonien, so schön sie auch sein mögen, ist auch nicht unbedingt der große Wunsch. Die Leute wollen immer öfter Obst und Gemüse anbauen. Woher kommt das?

Andrea Heistinger: Ich kann vielleicht ein bisschen philosophisch antworten. Wir sind alle auf einer Art aus dem Paradies Vertriebene. Kleine Paradiese wieder anzulegen, das macht unser Menschsein aus. Das ist eine tiefe Sehnsucht, die viele Menschen lange nicht wahrgenommen haben. Je mehr Menschen in Städten wohnen, je mehr Menschen in Wohnungen wohnen, desto bodenloser werden wir: von der Form wie wir leben, wie wir wohnen, von unseren Tätigkeiten her.

Es ist vielen Menschen bewusst geworden, dass da etwas fehlt. In manchen Lebensphasen, wenn Menschen zum Beispiel Kinder bekommen, fällt es plötzlich auf, dass etwas fehlt. Oder Menschen, die in Pension gehen zum Beispiel. Oder auch Menschen in Lebensphasen, wo ihr Körper eine Krankheit durchmacht, wo man weiß, dass es jetzt nicht von heute auf morgen wieder gut wird. Der Körper braucht Zuwendung, braucht einen Kontakt zu unmittelbaren, lebendigen Pflanzen.

Der kleinste Garten ist ein Topf, wo eine Pflanze wächst. Mit dieser Pflanze in Beziehung zu gehen, was das mit Menschen ausmacht, kann man gar nicht in Worten beschreiben. Wenn sich Menschen diesen Pflanzen zuwenden, dann wenden sie sich auch sich selbst zu. Wenn ich merke, dass die Pflanze Wasser braucht, Blätter hat, denen vielleicht etwas fehlt, dann werde ich sensibler. Ich kann wahrnehmen, was mir vielleicht fehlt, was mir gut tut.

Pflanzen haben viele Vorteile, sie laufen nicht davon, sie sind still aber trotzdem können sie mit Ihnen sprechen. Das ist faszinierend. Wirklich zu merken: was braucht diese Pflanze, die ich hier angebaut habe, damit sie gut gedeihen kann? Die Erbsen gedeihen anders, wenn ich sie auch nur 2-3 Wochen früher anbaue, da habe ich viel mehr Ertrag. Oder: die Tomaten fühlen sich am Südbalkon total wohl und auf meinem Ostbalkon bringen sie weniger Früchte (wenn man den Luxus hat, zwei Balkone zu haben)…

Ich kenne viele Menschen auch, die am Balkon zum Gärtnern begonnen haben. Dann mieten sie sich noch ein Selbsterntefeld dazu. Die Sehnsucht wächst immer mehr, frisches Gemüse oder Obst länger zur Verfügung zu haben.

Valérie: Zum Schluss noch eine letzte Frage. Was würden Sie jemandem empfehlen, der mit dem Balkongärtnern anfangen möchte? Wie geht man es am besten an, und nicht sofort wieder den Mut zu verlieren. Es ist ja nicht immer einfach.

Andrea Heistinger: Ja, es ist nicht immer einfach. Zwei Punkte:

  1. Weniger ist mehr, in zweierlei Hinsicht. Fangen Sie mit weniger Gefäßen an, dafür sollten sie größer sein. Lieber ein größeres Gefäß anschaffen, ein großes Gefäß ist besser als drei Kleine. Oft gibt es auch Gefäße, die irgendwo einen Makel haben, die man im Gartencenter viel günstiger bekommt. Man kann es am Balkon so hinstellen, dass der Makel gar nicht auffällt. Schauen sie, ob es eine zweite Wahl Möglichkeit gibt.
  2. Das zweite, ganz wichtig, sparen Sie bitte nicht bei der Erde, nicht beim Substrat. Wirklich hochwertige Erde verwenden! Ich habe das auch im Buch sehr gut beschrieben. Da gibt es 2 Möglichkeiten: Entweder ich kaufe Säcke mit hochwertiger Bio-Erde. Man kann auch direkt im Sack anbauen, da muss ich gar kein Geld ausgeben für ein Gefäß! Oder man investiert wirklich in hochwertige, sogenannte Trogerde, die teurer ist aber dafür über viele Jahre nutzbar ist, weil sie einen hohen Anteil an mineralischen Substraten hat, wie zum Beispiel Lava oder Blähton. Dieses Material sackt dann nicht zusammen. Das kann ich über viele Jahre nutzen, sofern ich auf eine gute Fruchtfolge achte, also nicht jedes Jahr in der gleichen Erde zum Beispiel Tomaten anbaue.

Wenn man darauf achtet, ist man auf einem richtig guten Weg. Dann gilt es jedes Jahr dazu zu lernen, und auch das Scheitern zuzulassen. Das ist vielleicht das Dritte, das ich immer gerne sagen kann. Man kann nirgendwo so scheitern lernen, scheitern verstanden als Lernfeld, wie im Garten.

Valérie: Das ist sicherlich eine Erfahrung, die man immer wieder macht. Am Ende entscheidet die Natur. Man lernt eine gewisse Demut, kann es nicht erzwingen.

Andrea Heistinger: Aber man kann dranbleiben!

Valérie: Absolut! Unsere Zeit ist nun um, vielen Dank für das Philosophieren, und für die praktischen Tipps. Ich bedanke mich herzlich für das Interview.

Andrea Heistinger: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Foto von Kathy Servian on Unsplash

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